Steueroase in Oberbayern
Wie der Landkreis Ebersberg mit Briefkastenfirmen im Wald die Gemeindekassen aufbessert
Nein, im Ebersberger Forst wird man weder auf die Palmen noch auf den weißen Sandstrand oder die türkisfarbene Südsee der Cayman-Inseln treffen. Und doch gerieten beide Orte 2016 in den Blick der Öffentlichkeit, der sich weltweit den Steueroasen, Offshore-Konstrukten und Briefkastenfirmen zuwandte.
Denn inmitten des Oberbayerischen Waldes rund 30 Kilometer östlich von München hat sich in einer Holzhütte unweit eines kleinen Biergartens eine Steueroase angesiedelt. Und das ganz legal. Der Schuppen bietet nicht viel mehr als einen Telefonanschluss, eine kleine Büroräumlichkeit und – ganz entscheidend – einen Briefkasten, an dem mehrere Immobilienfonds mit Namen wie AMMS Komplementär GmbH, H.F.S. Leasingfonds GmbH oder die H.F.S. Zweitmarkt Invest GmbH vertreten sind.
Als die Panama Papers Steueroasen in die Schlagzeilen brachten
Mit den Panama Papers wurde im April 2016 Wissen aus 2,6 Terabyte vertraulichen Unterlagen aus knapp 40 Geschäftsjahren der Kanzlei Mossack Fonseca öffentlich. Mails, Faxe, Rechnungen, Verträge, Bankauszüge und Gründungsurkunden belegten, dass der Offshore-Dienstleister aus Panama-Stadt für seine internationale Kundschaft nicht nur legale Steuervermeidungsstrategien ersonnen und vermittelt hatte. Vielmehr konnte systematische Geldwäsche und handfester Steuerbetrug nachgewiesen werden. Die Firma hatte sich die unübersichtliche internationale Rechtslage, Geheimhaltungspflichten, Schlupflöcher und Steueroasen zunutze gemacht.
In der Folge ging nicht nur Mossack Fonseca unter. Weltweit nahmen Steuer- und Strafverfolgungsbehörden die Ermittlungen auf. Politiker, Prominente und Sportfunktionäre gerieten über den Skandal ins Straucheln. Mit dem isländischen Ministerpräsidenten Sigmundur Davíð Gunnlaugsson musste sogar ein Staatschef aufgrund seiner Beteiligung an einer Briefkastenfirma seine Amtsgeschäfte niederlegen. Auch deutsche Banken, Geschäftsleute und Privatpersonen kamen in Erklärungsnot. Die Bundesregierung kündigte Maßnahmen gegen Steueroasen und Briefkastenfirmen an. 2017 trat dann das „Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz” (StUmgBG) in Kraft.
Mit den globalen Geldwäscheringen, die in den Panama Papers dokumentiert sind, hat der Ebersberger Forst nur bedingt zu tun. Doch spätestens das Schlagwort „Briefkastenfirma” lenkte die Aufmerksamkeit in den Oberbayerischen Wald. Wie war es möglich, dass den Briefkastenfirmen weltweit der Kampf angesagt wurde, während man in der bayerischen Idylle um deren Ansiedlung warb?
Eine der wichtigsten kommunalen Einnahmequellen: die Gewerbesteuer
Eine beliebte Stellschraube, um die kommunale Kassenlage zu verbessern, ist die Gewerbesteuer. Neben der zweiten Realsteuer, der Grundsteuer, stellt sie die wichtigste originäre Einnahmequelle für Gemeinden dar. Hebt eine Gemeinde die Sätze an, spült dies zunächst mehr Geld in die Kassen, senkt allerdings die Attraktivität des Standorts für Unternehmen. Diese weichen womöglich auf eine Gemeinde mit niedrigeren Steuersätzen aus, sofern dort ähnliche wirtschaftliche Voraussetzungen vorzufinden sind.
Der bundesdeutsche Durchschnitt der Hebesätze betrug laut IHK München im Jahr 2017 364 Prozent. In Bayern sind es 339 Prozent im Schnitt gewesen. Deutschlands höchsten Satz von 900 Prozent erhebt laut statistischem Bundesamt die Ortsgemeinde Dierfeld im Landkreis Bernkastel-Wittlich in Rheinland-Pfalz. 200 Prozent ist die legale Untergrenze, die muss der Gewerbesteuerhebesatz also mindestens betragen.
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Um die Höhe der Gewerbesteuer eines Unternehmens zu ermitteln, wird der Gewerbeertrag abgerundet und ggf. um Freibeträge gekürzt. Kapitalgesellschaften wie AGs, GmbHs oder KGaAs haben keine Freibeträge, während juristische Personen wie zum Beispiel ein Verein mit wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb erst ab einem Gewerbeertrag von 5.000 Euro Gewerbesteuer zahlen muss. Natürliche Personen und Personengesellschaften wie die OHG oder KG müssen erst ab einem Gewerbeertrag von 24.500 Euro Gewerbesteuer zahlen.
Der abgerundete und gegebenenfalls um Freibeträge gekürzte Gewerbeertrag wird mit der Steuermesszahl von 3,5 Prozent multipliziert. Diesen Steuermessbetrag multipliziert man wiederum mit dem Hebesatz.
Eine GmbH mit einem Gewerbeertrag von 100.000 Euro zahlt also
- in Dierfeld bei einem Hebesatz von 900 Prozent 31.500 Euro,
- in München bei einem Hebesatz von 490 Prozent 17.150 Euro und
- in Dragun bei einem Hebesatz von 200 Prozent 7.000 Euro Gewerbesteuer für das Jahr.
Steueroase – geht das überall? Standortpolitik im außermärkischen Gebiet
2004 hatte eine Kreisrätin in Ebersberg den zündenden Einfall. Statt an den Steuersätzen in bestehenden Gewerbegebieten der Gemeinden zu drehen, könnte man doch zusätzliche Flächen zum Gewerbegebiet erklären. Schließlich ist das Recht auf die Erhebung von Gewerbesteuern in der Satzung des Landkreises festgeschrieben. Ein Gewerbesteuerhebesatz beim legalen Minimum von 200 Prozent wäre ein schlagendes Argument für Firmen, sich dort anzusiedeln.
Fast 80 der 90 Quadratkilometer des Ebersberger Forsts sind weder in Gemeinde- noch in Privatbesitz, sondern gehören dem Landkreis als außermärkisches Gebiet selbst. Ein Viertel der von hier eingetriebenen Steuern verbleiben beim Landkreis, drei Viertel werden per Kreisumlage zwischen dem Bezirk und den 21 kreisangehörigen Gemeinden verteilt.
Die Abholzung von Waldflächen drohte durch den Vorschlag nicht. Der Ebersberger Forst gehört zum Landschaftsschutzgebiet. Hier darf nicht neu gebaut werden. Die bestehende Scheune für Geschäftstätigkeiten zu nutzen, ist dagegen durchaus zulässig, wie Prüfungen der Kreisverwaltung und des Wirtschaftsministeriums ergaben.
Eigentlich gehört das Anwesen samt Holzschuppen den Staatsforsten. Doch seit der Berichterstattungswelle über die Steueroase im Forst wurde denen der Trubel um Immobilien- und Finanzgeschäfte zu viel. Seit 2017 vermieten sie das Büro an den Landkreis Ebersberg für knapp 300 Euro monatlich. So ist der Landkreis nicht nur Nutznießer der Steuereinnahmen, sondern bestimmt als Vermieter auch, wer sich ansiedeln darf und wer nicht. 16 Millionen Euro konnte der Landkreis seither auf diesem Wege einnehmen und umverteilen.
So schaut sie aus, die Steueroase im Ebersberger Forst:
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Die Adresse muss tatsächlich für Geschäftstätigkeiten genutzt werden
„Die Voraussetzungen sind: Die Firma braucht eine Betriebsstätte als feste Geschäftseinrichtung, die der Tätigkeit des Unternehmens dient. Die Firma braucht eine Räumlichkeit und eine Verfügungsmacht darüber, also einen Mietvertrag. Und die Tätigkeit muss am Ort selbst ausgeübt werden. Diese Voraussetzungen erfüllen Fondsgesellschaften – andere Ansiedlungen haben wir nicht. Jede Firma, die die Voraussetzungen erfüllt, kann mit dem Landkreis Kontakt aufnehmen.“
Brigitte Keller vom Landratsamt Ebersberg zur Abendzeitung München
Um „die Tätigkeit am Ort selbst auszuüben”, reicht es aber offenbar aus, eine Firma mit der Bearbeitung der Post zu beauftragen.
Da hatte man sich Anfang der Nullerjahre in Norderfriedrichskoog noch mehr Mühe gegeben, um die notwendige Geschäftsaktivität sicherzustellen. In der Gemeinde in Schleswig-Holstein, die eigentlich nur aus ein paar Bauernhöfen besteht, waren vorübergehend über 300 Unternehmen angesiedelt – viele davon Tochtergesellschaften von Konzernen wie der Deutschen Bank, E.ON oder der Lufthansa. Hier kam die Chefetage noch regelmäßig zu Vorstandssitzungen zusammen und tagte in der Idylle.
Alles legal – doch es regt sich Widerstand
Nicht allen passt das Steuersparmodell im Ebersberger Forst. In einem offenen Brief an den Landrat Robert Niedergesäß vom Juli 2017 fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), „das Treiben in der Steueroase zu beenden.”
Die oppositionelle ödp hatte in einer Petition an den Landtag den Stopp der Praxis gefordert, „auf Kosten der Allgemeinheit privaten Unternehmen zur Steuervermeidung Beihilfe zu leisten.” Im Kreistag beantragte die ödp, die Mietverträge mit den Firmen im Stadel zu kündigen, doch der Antrag fiel durch. Erst ein halbes Jahr zuvor hatte sich derselbe Kreistag einstimmig auf die Mietverträge verständigt. Auch die Grünen und die SPD hatten zugestimmt.
„Es ist nicht vergleichbar mit Panama, aber es stinkt,” so Albert Hingerl von der SPD zur Süddeutschen Zeitung. Waltraud Gruber von den Grünen wünscht sich daher eine klare Rechtslage: „Wir sehen den schwarzen Peter beim Gesetzgeber.” Thomas Huber von der CSU sieht dagegen keinen weiteren Klärungsbedarf. „Es ist alles rechtlich in Ordnung und auch moralisch nicht verwerflich.“
Umzug in die Steueroase – lohnt sich das für meine Firma?
Natürlich spielt die lokale Steuerlast eine Rolle bei der Entscheidung für oder gegen einen Unternehmensstandort. Eine Bestandsgarantie für niedrige Steuern gibt es allerdings nicht. Brigitte Keller vom Landratsamt Ebersberg weist zudem darauf hin, dass es eine Bescheinigung vom Finanzamt braucht, um ein Gewerbe im Forst auszuüben. „Dadurch scheiden schon einmal sehr viele Firmen von vornherein aus.”
Zudem sind die Steuersätze nur ein Kriterium von vielen. Ein Briefkasten im Wald ohne Sitzungsräume, Lagerhallen oder Produktionsstraßen, um dessen Adresse sich viel öffentlicher Aufruhr regt, ist weder ein prestigeträchtiger noch ein praktischer Firmensitz.
Oft sind andere Kriterien viel entscheidender für den Erfolg eines Unternehmens. Gibt es überhaupt ein tragfähiges Geschäftsmodell? Kann mein Unternehmen ein Produkt oder einen Service anbieten, das so nutzbringend für Kunden ist, dass diese bereit sind, dafür Geld zu bezahlen? Und kann mein Unternehmen das besser als andere? Was ist das Alleinstellungsmerkmal?
Auch bei den externen Rahmenbedingungen geht es um mehr als nur die Steuersätze. Wie steht es um die örtliche und überregionale Infrastruktur? Sind Fachkräfte in der Region verfügbar? Gibt es Kinderbetreuungsplätze, Schulen und Hochschulen in der Gegend? Wie hoch sind die Mieten? Wie nehmen die Menschen die Lebensqualität insgesamt vor Ort wahr?
Denn nur, wer diese Fragen intensiv für sein eigenes Geschäftsmodell durchgeprüft und realistische Chancen auf die Bescheinigung des Finanzamts hat, sollte beim Landkreis Ebersberg anklopfen, um sich für einen Mietvertrag an der Adresse St. Hubertus 2 in Position zu bringen. Alles andere wäre zumindest kurzsichtig.
* In einer früheren Fassung hatte die IHK München ihren Report zur „Gewerbesteuer in Oberbayern“
unter der Adresse https://www.ihk-muenchen.de/ihk/Gewerbesteuer2017.pdf angeboten.
Mittlerweile findet sich das Dokument auf https://www.ihk-muenchen.de/ihk/Gewerbesteuer-4.pdf
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